Ghosting bezeichnet das plötzliche verschwinden und ignorieren eines Menschen mit dem man zuvor Kontakt hatte. Dieser Begriff wird vor allem im Dating Kontext verwendet. Menschen die einen ghosten werden gerne niedergemacht. Sie sind nicht aufrichtig, unehrlich und sowieso verlogene Arschlöcher. In diesem Artikel werde ich eine neue Perspektive auf das Thema Ghosting eröffnen und näher beleuchten. Denn auf jemand anderen zu zeigen ist immer leichter, als zu schauen, was dieses Verhalten überhaupt verursacht.
Aber schauen wir uns zuerst mal die heutige Dating Welt an. Ich vermute, dass es zu kaum einer Zeit mehr Singles gab als heute. Nicht nur das, es gibt trotz all dieser Vernetzung kaum mehr Einsamkeit. Unsere Leben verlagern sich immer mehr nach innen, soziale Interaktionen schlafen immer mehr ein. Es gibt immer mehr Alleinerziehende und Familienverbände brechen aus den unterschiedlichsten Gründen zusammen. Menschen sind aber soziale Wesen und es gibt mehr als genug Studien dazu, dass wir soziale Interaktionen brauchen und eben auch Liebe brauchen. Klar gibt es ein paar Ausnahmen. Die gibt es immer. Doch Menschen brauchen ein soziales Miteinander und so wundert es auch nicht, dass wir immer auf der Suche nach Liebe und Verbindung sind.
Der anhaltende Boom von Dating Apps, Singlegruppen und Partnervermittlungen bestätigt das. Teilweise wird auch ordentlich Profit aus diesem Grundbedürfnis der Menschen geschlagen. Ist ja auch ein lukratives Geschäft. Doch genau dieses Geschäft fördert auch immer größere Erwartungshaltungen. Menschen investieren Zeit und auch Geld darin, endlich wieder Verbindung zu schaffen. Sich endlich wieder verlieben zu können. Weil sich das doch so gut anfühlt. Wenn wir uns also Dating genauer anschauen, so wächst Erwartungshaltung an die unbekannte Person in Relation zur Zeit, die vergeht. Manche durchleben auch Phasen der Resignation und Hoffnungslosigkeit überhaupt jemals wieder einen Partner zu finden.
Doch dann kommt doch jemand vorbei. Jemand mit dem man gar nicht gerechnet hat. Plötzlich wird man aufgeregt und Hoffnung regt sich. Der Puls geht schneller „könnte es tatsächlich jemand sein, der passt?“. Je besser das erste Schreiben funktioniert, desto mehr Prozesse werden nun im Gehirn angestoßen. Zu sehr sind wir es gewohnt, einfach drauf los zu denken. Der kognitive Verstand läuft direkt los, analysiert, baut Szenarien, sucht Hinweise und will sich abgleichen. Und jetzt beginnt der Part der schwierig wird. Simon Sinek hat in diesem Zusammenhang mal gesagt, dass wir verlernt haben, Beziehungen sich einfach mal entfalten zu lassen. Wenn wir auf ein Date gehen, gehen wir schon vorher gedanklich durch, ob derjenige ein passender Partner sein könnte, statt die Person einfach nur zu entdecken und die gemeinsame Zeit zu genießen. Man wägt auch ab, ob die investierten Ressoucen es überhaupt „wert“ sind. Wenn eh nichts dabei rum kommt, war alles umsonst. Ein ziemlich kaputter Ansatz, wenn ihr mich fragt und aus spiritueller Sicht ein ziemlicher Mangel. – Wobei ich zugeben muss, dass ich selbst mal so gedacht habe. Nicht das ihr meint, ich wäre schon immer so weitsichtig gewesen. 😉
Was in diesem Fall passiert ist, dass wir auf unser Gegenüber immens viele Erwartungen und Vorstellungen projizieren. Statt einfach nur eine tolle Zeit mit einem tollen Menschen zu verbringen – egal wie es ausgeht. Sind wir ständig im Kopf und gleichen unsere Muster ab. Kein Wunder, dass einige Menschen das als Zeitverschwendung betrachten. Schließlich vergessen sie einfach mal Spaß zu haben. Woran erinnert mich das noch mal? Ach ja – an unsere ewige Leistungsgesellschaft. Sodass selbst Dating optmimiert werden muss.
Jetzt kommt es wie es kommen muss. Einer von zwei Beteiligten merkt, dass es vielleicht nicht passt. Vielleicht gab es auch eine blöde Situation, die nicht hätte sein müssen. Wie auch immer – einer von beiden will nicht mehr. Und hier kommt nun das Ghosting ins Spiel.
Unterbewusst wissen die meisten Menschen von dieser Überlagerung von Erwartungen. Viele haben es auch sicher schon zu spüren bekommen. Der Part, der also feststellt, dass es nicht passt, darf nun dem Gegenüber dies mitteilen. Es geht also darum, das Gegenüber abzulehnen. Betrachten wir das aus Sicht unseres historischen Gehirns kommt das quasi unserer Urangst, dem Ausschluss aus der Gruppe gleich. Auch wenn die Gruppe in diesem Fall nur zwei umfasst. Die eine Person weiß also, dass sie jemanden ablehnen muss, während die andere Person die Ablehnung erfahren muss. Sagen wir einfach mal Person A stellt auf auf dem Date fest, dass es mit Person B nicht passt.
Jetzt gibt es mehrere mögliche Szenarien:
1. Person A sagt Person B, dass es nicht passt. Person B nimmt es nicht persönlich, weil sie weiß, dass man niemanden dazu zwingen kann und beide sind cool damit.
2. Person A sagt Person B, dass es nicht passt. Person B ist getroffen. Sie versteht nicht, warum sie schon wieder abgelehnt wird und möchte Erklärungen von Person A haben. Sie glaubt, sie könnte es besser und fängt an, sich zu rechtfertigen.
Hier wird es nun schwierig. Es gibt Menschen, die scheinen Emotionen von anderen nicht so sehr zu fühlen und es gibt Menschen, die Emotionen von anderen sehr intensiv wahrnehmen. Ist Person A nun jemand, der Emotionen nicht so sehr wahrnimmt, wird sie vermutlich eine kurze Erklärung abgeben -wenn überhaupt – und sich dann aus der Konversation herausziehen.
Ist Person A eher die fühlende Sorte Mensch, ist die Frage, wie gut sie Emotionen von anderen halten kann. Gesamtgesellschaftlich betrachtet ist die Fähigkeit eher unterrepräsentiert. Sprich es wird zu einer emotionalen Herausforderung mit Person B ins Gespräch zu gehen und deren Gefühle zu halten. Wenn Person A dieses Fähigkeit nicht ausgebildet hat, wird sie sich in einen emotionalen Zwiespalt begeben. Sie weiß, dass es nicht passt, erträgt aber die Emotionen von Person B nicht und gibt dann doch nach, nur um spätestens in der nächsten ruhigen Minute festzustellen, dass sie es doch nicht will.
Und genau hier wird dann sowas wie Ghosting geboren. Person A ist damit überfordert, die Emotionen von Person B auszuhalten und will sich dieser Situiation nicht mehr aussetzen. Deswegen wählt sie den für sich leichteren Weg und geht dem ganzen aus dem Weg. Ignoriert und/oder blockiert Person B.
Doch das ganze wäre zu einfach, wenn das hier vorbei wäre. Wir Menschen lernen über Erfahrungen im Nervensystem. Kommt also Person A in die nächste Dating Situation, kann es passieren, dass sie beim nächsten Mal sogar schon scheut, Person C überhaupt die Ablehnung mit zu teilen. Sie wählt dann direkt den für sie leichteren Weg und vermeidet die emotionale Zwickmühle.
Natürlich ist das nicht das einzig denkbare Szenario. Es ist eine mögliche Option. Es gibt auch sicherlich Menschen, denen andere einfach egal sind. In meiner Weltanschauung machen die Menschen, diese Dinge aber immer nur FÜR sich und nicht gegen andere. Und wer weiß, vielleicht kommst du irgendwann selbst in die Lage und musst jemanden ablehnen. Jemanden, der wirklich lieb und gutherzig ist, aber mit dem es einfach nicht passt. Und dann hörst du die Verzweiflung in der Stimme und die tiefe Traurigkeit darüber, einfach nicht richtig sein zu können. Das ist der Moment, wo du dankbar bist, mit den eigenen und den Emotionen anderer umgehen zu können. Denn du weißt, du musst jetzt nicht trösten oder irgendwas gut machen. Du bist einfach nur da und hältst die Energie.
Ich bin davon überzeugt, mit dieser Fähigkeit machen wir die Welt ein ganzes Stück schöner für alle.
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